Besser gemeinsam entscheiden mit dem Systemischen Konsensieren

Meine Seite: Besser gemeinsam entscheiden mit dem Systemischen Konsensieren

Ein Gastbeitrag von Sven Jung

Mit (digitalen) Beteiligungsverfahren wie Consul wurde schon große Fortschritte zu mehr Demokratisierung durch Bürgerbeteiligung erreicht. In Kombination mit dem Systemischen Konsensieren kann Bürgerbeteiligung noch wirkungsvoller werden - preisgekrönte Beispiele gibt es bereits.


Die Form der Entscheidungsfindung hat sehr großen Einfluss auf die Ergebnisse und die Kultur der Zusammenarbeit.
Mehrheitsentscheidungen berücksichtigen oft nur wenige Alternativen, denn sonst könnte eine relativ kleine einfache Mehrheit das Ergebnis bestimmen. So steht bei vielen politischen Entscheidungen und Beteiligungsverfahren oft nur ein einziger Vorschlag zur Verfügung, der nur mit Ja oder Nein bewertet werden kann. Das wird der Vielfalt der Wünsche und Vorstellungen der BürgerInnen aber nicht wirklich gerecht und führt durch die Entweder-Oder-Logik tendenziell zu Lagerbildung bei den Beteiligten. Eine differenzierte Bewertung ist nicht möglich. Widerstände werden nicht sichtbar und tauchen dann in der Umsetzungsphase auf oder suchen sich in Form von Protesten einen Weg des Ausdrucks.

Das Systemische Konsensieren ist eine erprobte und wirkungsvolle Methode, um in Gruppen und Organisationen beliebiger Größe zielgerichtet und kooperativ zu einer sehr guten Entscheidung mit hoher Akzeptanz bei allen Beteiligten zu kommen. Durch Minimierung des Gesamtwiderstands wird gemeinschaftlich die optimale Lösung erarbeitet. Die Akzeptanz der Lösung und die Zufriedenheit aller Beteiligten wird maximiert, da die Entscheidung so konsensnah wie möglich ist. Machtkämpfe verschwinden, Konfliktenergie wird in eine Kooperationskultur transformiert und das Ergebnis ist weit besser als bei einem klassischen Mehrheitsentscheid. Außerdem werden Zeit, Geld und Nerven gespart.

Bei der praktischen Anwendung wird jeder Vorschlag von allen Beteiligten mit dem persönlichen Widerstand (0: kein Widerstand, 10: maximaler Widerstand) bewertet und so der Gesamtwiderstand zu jedem Vorschlag ermittelt. In der einfachsten Anwendungsvariante wird der Vorschlag mit dem geringsten Gesamtwiderstand und damit der höchsten Gesamtakzeptanz ausgewählt. Widerstände gegen die Lösung sind sichtbar und können systematisch zur Verbesserung der Vorschläge genutzt werden. Somit steht ein lernender und auf kooperative Weise optimierender Prozess zur Verfügung, der die  Bedürfnisse aller Beteiligten sichtbar macht und bestmöglich erfüllt. Durch die Ermittlung der Gesamtakzeptanz wird die Qualität des Ergebnisses für alle sichtbar.

Bei einer Stadtverwaltung wird das Systemische Konsensieren angewendet, um gemeinsam über die Farbgestaltung der neuen E-Bike-Flotte für die städtischen MitarbeiterInnen zu entscheiden. Nach der Sammlung von Vorschlägen wird mit der Widerstandsbewertung des Systemischen Konsensierens ein Stimmungsbild erstellt. Danach werden zielgerichtet die Gründe für die Widerstände erfragt. Dabei zeigt sich, dass hohe Widerstände entstehen, wenn die Farben keinen Bezug zu den Wappenfarben der Stadt haben. Aus dieser Erkenntnis entwickelt sich ein zusätzlicher Vorschlag, der die Stadtfarben am Fahrrad um ein passendes Schild mit dem Wappen der Stadt ergänzt. Dieser Vorschlag erhält bei der abschließenden Bewertungsrunde geringe Widerstandsbewertungen und damit eine sehr hohe Gesamtakzeptanz. Somit konnte der ursprüngliche Lösungsraum sehr schnell sinnvoll erweitert und eine optimale Lösung mit hoher Gesamtzufriedenheit gefunden werden.

Am Beispiel einer Bürgerbeteiligung für die Entscheidung über die Verlängerung der Fußgängerzone im Herzen einer Kleinstadt werden die unterschiedlichen Entscheidungsprinzipien sehr deutlich.
Oft sind Bürgerentscheide und politische Entscheidungen so gestaltet, dass nur zwischen Zustimmung und Ablehnung eines einzigen Vorschlags entschieden werden kann. Eine solche Entweder-Oder-Auswahl hat die Tendenz, die Bürgerschaft zu spalten und Konflikte zu verstärken.  Oft fühlt sich eine Seite nach der Abstimmung als Verlierer. Zur Entschärfung der Situation wird ein Kompromissvorschlag ergänzt: die Fußgängerzone wird nur temporär in den Sommermonaten verlängert. Beim anschießenden Mehrheitsentscheid verteilen sich die Stimmen der Verlängerungsbefürworter auf die beiden Varianten der dauerhaften und der temporären Verlängerung, so dass diese aufgrund einer knappen relativen Mehrheit der Verlängerungsgegner überhaupt nicht zustande kommt, obwohl eine Mehrheit der BürgerInnen die Verlängerung begrüßt.
Der ganzheitliche Prozess des Systemischen Konsensierens macht auch bei einer Bürgerbeteiligung in einem ersten Schritt die Bedürfnisse aller Beteiligten sichtbar. Dabei wird offensichtlich, dass das eigentliche Konfliktthema nicht die Verlängerung der Fußgängerzone ist. Die Widerstände entstehen vor allem bei den betroffenen Geschäftsinhabern, die Umsatzeinbußen durch eine reduzierte Zugänglichkeit ihrer Geschäfte befürchten. Nun kann sich der Beteiligungsprozess auf die Frage konzentrieren, wie die Fußgängerzone verlängert und gleichzeitig die Zugänglichkeit bei den betroffenen Geschäften verbessert werden kann. Damit ist die Bühne frei für kreative Lösungen, die z.B. in der Parallelstraße zusätzliche kostenlose Autoparkplätze, einen breiten Fahrradweg kombiniert mit komfortablen Fahrradständern und eine Buslinie mit mehreren Stops beinhalten. Aus diesen Vorschlägen werden mehrere schlüssige Konzepte erarbeitet. Im Rahmen des Systemischen Konsensierens werden alle Konzepte mit den Widerstandswerten aller BürgerInnen bewertet und so die Lösung mit der größten Gesamtakzeptanz ausgewählt. Alle Bedürfnisse wurden berücksichtigt und die bestmögliche Lösung erarbeitet. Somit wurde nicht nur der BürgerInnenwille  umgesetzt sondern auch die Schwarmintelligenz für eine optimierte Lösung genutzt.

Das Systemische Konsensieren wird von vielen Non-Profit-Organisationen (z.B. Gemeinwohl-Ökonomie) als bevorzugte Entscheidungsmethode verwendet. Die Kommune Munderfing in Oberösterreich organisiert die Bürgerbeteiligung seit einigen Jahren mit dem Systemischen Konsensieren und hat dafür schon 2 Preise gewonnen. In Unternehmen ist die Methode vor allem im agilen Kontext im Einsatz.

Die Implementierung des Systemischen Konsensierens in Consul sollte relativ einfach sein, da die Verwaltung von Vorschlägen und Beteiligten schon vorhanden ist. Es müsste lediglich eine Möglichkeit geschaffen werden, dass alle Stimmberechtigten alle Vorschläge mit den Widerstandszahlen von 0 bis 10 bewerten können. Diese Widerstandszahlen werden dann pro Vorschlag zusammengezählt und sehr einfach der Durchschnitt sowie die Widerstands- und Akzeptanzprozente errechnet. Bei der Implementierung stehe ich gerne mit fachlichem Rat zur Verfügung.

Sven Jung ist Moderator, Berater und Trainer für kooperative Entscheidungsprozesse und Konfliktlösungen bei Kommunen, Unternehmen und Non-Profit-Organisationen. Er hat das Systemische Konsensieren bei seinen Erfindern in Graz erlernt und zu einem klar strukturierten und ganzheitlichen Entscheidungswerkzeug weiterentwickelt. Über 2.000 Menschen haben bereits in seinen Trainings diese Methode erlernt. Nach seinem Informatik-Diplom führte ihn sein Weg zu einem eigenen Beratungsansatz einer ganzheitlichen, agilen und nachhaltigen Organisations- und Personalentwicklung mit Sinn, Wertschätzung und Wirksamkeit. Er lebt in Karlsruhe und arbeitet in Deutschland und weltweit.

Weitere Informationen zum Systemischen Konsensieren unter https://svenjung.com/sk